Kunst, Kultur, Let’s Plays und Spielejournalisten

Tatsachen schafft man nicht aus der Welt, in dem man sie ignoriert. Aldous Huxley

Ich bin das, was man als Kunstbanause bezeichnen würde. Meine unzähligen Versuche, moderne Kunst zu verstehen, schlugen kläglich fehl. Faszinierend finde ich Menschen, die sie nicht nur verstehen, sondern auch wirklich genießen können: stundenlang vor einem Gemälde sitzen, die Liebe zum Detail immer wieder neu entdecken uns sich im Motiv verlieren zu können. Die klassischen Pilgerfahrten nach Paris zum Louvre oder zum Museum of Modern Arts in New York brachten mir nicht die nötige Erlösung – oder besser ausgedrückt – die erwünschte ‚Erleuchtung‘, die ich diesbezüglich angestrebt habe. Nach außen fing ich an, wie viele meiner Leidensgenossen auch, diese ‚Kunstversteher‘ lächerlich zu machen. Klassische Missgunst also über die bittere Wahrheit, nicht das entdecken zu können was diese Menschen an moderne Kunst so spannend und faszinierend finden.

Kunst, oder im allgemeineren Sinne, ‚Unterhaltung‘, lässt sich nur schwer von außen gegen Kritik verteidigen. Wie denn auch? Die bittere Wahrheit ist diese: die Trash-Sendungen wie ‚Verliebt in Berlin‘ haben unterhaltungsmäßig in unserer westlichen Gesellschaft genauso einen festen Platz wie Goethes ‚Faust‘ oder mein geliebtes ‚Sternennacht‘ von Van Gogh. Das ist schwer zu schlucken und missfällt mir, ist aber eine unbestreitbare Realität. High Culture und Low Culture haben dies gemeinsam: Culture.

Wir dürfen jedoch nicht mißverstehen – denn jetzt dürfen wir etwas aufatmen – dass die kulturelle Berechtigung einer Unterhaltungsform schon lange nichts über deren Wert aussagt. Ein YouTube Clip von einem Mops, der einen Kinderwagen vor sich her schiebt hat sicherlich nicht denselben kulturellen Wert wie der Film Schindlers Liste von Stephen Spielberg. Oder?

Ganz ehrlich? Ich bin mir nicht sicher.

Der Wert einer Sache ist daran festzustellen, wie viel Wert man in die Sache von ‚oben herab‘ in die Sache selbst hineinprojiziert. Ich bin Wirtschaftler, ich kann es vielleicht so erklären: Geldscheine sind beispielsweise materiell gesehen nur einige Cent wert in der Produktion. Was macht sie dann für uns so wertvoll? Nun, wir haben uns geeinigt diesem fast wertlosen Stück Papier von oben herab einen Wert zu geben. Aber das Beispiel hinkt etwas. Wert ist meist Ansichtssache: was für dich wertvoll ist, ist für mich vielleicht wertlos. Das ist der entscheidende Crux, vor allem wenn es um Unterhaltungsmedien geht. Jeder entscheidet nun selbst für sich was wertvolle Unterhaltung oder was Schrott ist. Das ist übrigens etwas völlig neues.

Wir leben in spannenden Zeiten: einer unaufhaltbaren Demokratisierung von Wissen, Politik und insbesonders der Unterhaltung. Es hat seit Menschheitsbeginn noch nie so viele Leute gegeben, die ihre Mitmenschen unterhalten möchten wie jetzt. Unterhaltung wird kostengünstiger, einfacher und lukrativer herzustellen. Jeder kann mitmachen. Gerade in der Gamingszene ist dies deutlich zu spüren… die Entdeckung einer neuen Unterhaltungsform: den sogenannten Let’s Plays (folgend LPs). Etwas wovon ich, im Gegensatz zur modernen Kunst, mich eventuell ein wenig zu verstehen wisse.

LPs scheiden ganz offensichtlich die Geister. Wahnsinnig populär (Tendenz rasant steigend!) und jedoch von vielen in der Gamingbranche müde belächelt. Aber ein Phänomen das die meisten nicht zu erklären wissen. Die Unterhaltungsbranche wittert Profit und investiert: Disney kauft Makers Studios, ein YouTube-Netzwerk, für knapp eine halbe Milliarde Dollar. Die ProsiebenSat.1 Gruppe gründet Studio 71 für deutsche Content-Creator und holen bekannte deutsche Let’s Player wie Gronkh ins Boot. RTL investiert auch in das kanadische YouTube-Netzwerk Broadband TV. Es tut sich was.

Die Reaktion der jetzt schon durch Printkrieg- und Kostendruck-gerüttelten Gamingjournalistenszene ist da natürlich eher verhalten. Wenige äußern sich dazu. Meines Erachtens sehen viele in der Branche auch nicht das große Potential der LPs für ihre eigene journalistische Arbeit. Leider. In einem merkwürdigen Artikel der Unabhängigen Spieletester beispielsweise wird sogar davon gesprochen dass LPs dafür verantwortlich sind dass Zuschauer wohlmöglich faul und passiv sind, und sich wegen LPs keine Spiele mehr kaufen. Belegt werden diese Aussagen im Artikel nicht, auch nicht auf Anfrage.

Ein in der Branche bekannter Spielejournalist äußerte sich in der Zeitschrift Games Aktuell in einem Interview auch zu dem Thema. Auf die Frage hin, ob LPs eine Alternative zum Beruf des Journalisten sei, antwortete er:

Wenn man sich mal anschaut, wie viele Leute da mittlerweile mit schlecht gemachten Abklatschen der „Großen“ reindrängen, ist das definitiv keine Alternative. Das Feld ist gut besetzt und wer denkt, er wird automatisch zum Star, nur weil er einen Youtube-Kanal einrichtet und sich beim Zocken zuschauen lässt, der vergisst, dass es immer mehr als nur den Standard braucht, um aufzufallen. Und mehr als Standards sehe ich gerade nicht.

Natürlich hat er in Bezug auf den Journalismus/LPs-Vergleich Recht. Journalisten wird es immer geben – und gute Journalisten haben wir nötiger denn je. Jedoch ist die Form von Journalismus momentan im gewaltigen Umbruch, mir ist das nicht weitsichtig genug. Kritik sagt oft weit mehr über den Kritiker aus als über den zu Kritisierenden. Man kann eine Form der Unterhaltung einfach nicht mit dem Argument abtun, es wären sowieso schon alle Plätze mit Stars besetzt. Darf ich kein Fußball spielen weil Philip Lahm besser und populärer ist als ich?

Wer bestimmt über den Wert einer Unterhaltungsform? Durch die oben schon erwähnte Demokratisierung von Informationen sind das meiner Meinung nach nicht mehr die Zeitschriften oder allwissenden Meinungsmacher, sondern wir. People will vote with their feet. Und sie klicken in Scharen auf Let’s Plays. Eine Tatsache die, wie ich finde, die Gamingbranche sich zu Nutzen machen sollte. Die großen Konzerne fangen bereits damit an. Woran es fehlt – wie der Autor des obigen Zitats richtig erkannt hat – ist die Qualität. Qualität worüber fachkundige und überaus kreative Menschen in der Branche verfügen und voll für sich ausnutzen sollten, und zwar schnell. Lernt Videoschnitt, nicht nur 10-Finger-Tastenschreiben!

Momentan sehe ich subjektiv eher den ersten Schritt von Kübler-Ross: Nichtwahrhabenwollen und Isolierung. Let’s Plays sind da – die Sparte wächst – und ihr werdet euch mit uns auseinandersetzen müssen.

2 Kommentare zu „Kunst, Kultur, Let’s Plays und Spielejournalisten

  1. Ich bin mir ehrlich gesagt nicht sicher, was du mit diesem Artikel ausdrücken willst. Der Einstieg gefällt mir sehr gut, ich mag den Vergleich zu Kunst, das sanfte heranführen. Allerdings geht er mir nicht weit genug. Was möchtest du sagen? Dass Let’s Plays gut sind, unterschätzt sind, Qualität brauchen? Nichts anderes hat der von dir zitierte Autor auch gesagt. Wieso also dieser Kommentar? Was mich stört ist, dass du keine genaue Aussage festigst, oder vielleicht habe ich sie auch nur nicht richtig deuten können, dann tut es mir leid. Du findest Let’s Plays also gut, selbstverständlich, du betreibst sie ja selbst. Doch wieso? Weil Sie viele Zuschauer anlocken, aber warum? Warum mögen die Leute Let’s Plays so sehr? Ist das nicht die Frage die sich „ernsthafte“ (und damit meine ich Journalisten in Spielemagazinen die dafür bezahlt werden) Journalisten nicht stellen sollten um genau das zu tun um den sinkenen Leserzahlen entgegenzuwirken? Versteh mich nicht falsch, es ist keinesfalls Kritik an dir, deinem Schreibstil oder deinem Tun, ich finde, dass die Diskussion generell nicht weit genug geht. Schnell bilden sich zwei Lager, die die Let’s Plays schauen und die die sie für „niederen“ Content halten und sie nicht mögen. Okay, beide haben ihre Berechtigung, aber so richtig darüber nachdenken tut niemand. Man kann Let’s Plays nicht mögen und trotzdem essentielle Gedanken die dahinter stecken für den eigenen Journalismus verwenden oder man kann, so wie du es getan hast, Let’s Plays mögen und selbst betreiben, die Kritik verstehen, abnicken, und einfach so weitermachen. Ich finde beide „Lager“ sollten etwas voneinander lernen und diese Diskussion sollte endlich mal auf einer höheren Ebene geführt werden. So oder so – ein schöner Artikel, gut geschrieben, nur nicht weit genug (für mich persönlich).

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